Die Prozessdimensionen

Jedes Ziel wird durch Verhaltensweisen ausgedrückt, die zu zwei Prozessdimensionen führen. Systemerhaltung und Kohärenz führen zum  die Ziel der Stabilität; Individuation und Systemänderung  zum Ziel des Wachstums. Systemerhaltung  und Systemänderung beziehen sich auf die Ziele von Regulation/Kontrolle und  Kohärenz und Individuation auf das Ziel der Spiritualität. Diese Dynamik wird durch die roten Pfeile im systemischen Diagramm verdeutlicht (siehe Systemischer Prozess). Die roten Pfeile zeigen Quadranten ungleicher Größe an, was bedeutet, dass Einzelpersonen, Familien oder ein größeres System nicht alle Prozessdimensionen gleichermaßen betonen. Ein gesundes System muss alle Dimensionen zumindest bis zu einem gewissen Grad nutzen, aber die Betonung der Dimensionen und der spezifischen Verhaltensweisen innerhalb der Dimensionen unterscheiden sich und basieren auf kulturellen Werten und Überzeugungen.

 

 

Mit dem Begriff Verhaltensmuster ist nicht etwa das Verhalten selbst gemein, was beobachtet wird. Vielmehr werden Verhaltensmuster durch die Motivation, die das Verhalten hervorbringt, geprägt. Zum Beispiel könnte ein Familienspaziergang in den Wäldern Systemhaltung sein (siehe unten), wenn seine Motivation durch das Streben nach Gesundheit bestimmt wird, Kohärenz (siehe unten), wenn seine Motivation der Wunsch nach Gemeinsamkeit und Erfahrungsaustausch ist oder Individuation (siehe unten), wenn die Motivation darin besteht, etwas über Pflanzen und Tiere zu lernen.

Systemerhaltung von Einzelpersonen umfasst alle Verhaltensweisen der Selbstversorgung/-pflege. Dazu gehört das Befriedigen von physischen, sozialen, psychologischen oder spirituellen Bedürfnissen. In Familien und sozialen Gruppen bezieht es sich auf Organisation, Entscheidungsfindung, Regeln, Vorschriften, Rollen, Kommunikationsmuster und den Informationsfluss.

 

Kohärenz von Individuen bezieht sich auf alle Handlungen, die unternommen werden, um sich als einheitliches Ganzes von integrierten Teilen zu fühlen und wahrzunehmen. Kohärente Menschen sind frei von inneren Konflikten, handeln gemäß ihren Werten und Überzeugungen und haben ein gesundes Selbstgefühl. Die Prozessdimension der Kohärenz umfasst alle Verhaltensweisen, die zu Verbundenheit oder innerem Frieden führen. 

In Familien und größeren sozialen Systemen bedeutet Kohärenz Gemeinsamkeit oder das Gefühl, Teil derselben Einheit zu sein und sich für die Einheit zu engagieren. Mitglieder widmen dem System und einander Zeit und Energie, tauschen Erfahrungen aus, erfüllen ihre Rollen und Verpflichtungen und schätzen die Unterschiede der anderen.

 

Die Individuation erfolgt immer auf individueller Ebene. Es umfasst alle Aktivitäten, die unternommen werden, um zu lernen und Einsicht zu gewinnen. Dies kann eine formale Ausbildung beinhalten, aber auch Lebensprozesse, die den Menschen helfen, ihren Horizont zu erweitern. Zum Beispiel können Pflegepersonen Individuation gewinnen, indem sie sich vollständig in den Pflegeprozess einbringen. Indem sie sich auf einer vertrauten Ebene mit dem Patienten verbinden, gewinnen sie eine neue Perspektive des Lebens und eine sich weiterentwickelnde Berufsidentität.

In Familien und größeren sozialen Systemen beinhaltet die Individuation die Offenheit des Systems, die es Individuen ermöglicht, zu wachsen und zu reifen, im Leben voranzuschreiten, es zu erforschen und es in ihr Familiensystem zurückzutragen. Solche offenen Systeme ermöglichen Diskussionen über neue Ideen und sind in der Lage, gemeinsame Werte entsprechend anzupassen.

 

Man muss sich die Prozessdimensionen in ständiger Bewegung vorstellen. Sie sind auch voneinander abhängig. Zum Beispiel kann die Individuation sich nicht entfalten, wenn die Kohärenz fehlt. Durch Kohärenz gewinnen wir Selbstbewusstsein und den Mut, neue Projekte zu wagen, die zu Erfahrungen und neuen Erkenntnissen führen. Eine solche Einsicht bleibt dann nicht ohne Auswirkung auf das individuelle System. Einsicht führt also zu Systemveränderung: Man wird zu einer anderen Person. Wenn man sich verändert, verändert man Werte, ändert Einstellungen und Verhaltensweisen. Eine solche Systemänderung führt daher zu einem neuen Gleichgewicht im System, die sich über eine geänderte Systemerhaltung ausdrückt. Die Systemänderung kann schrittweise erfolgen, zum Beispiel durch Reisen oder eine Ausbildung. Sie kann auch unerwartet passieren: Eine Person wird in eine Krise gestürzt, die nur durch Systemänderung (über Akzeptanz und Prioritätenwechsel) gelöst werden kann. Ohne Akzeptanz kann keine Systemänderung stattfinden. Zum Beispiel kann eine Person mit einer schweren Krankheit entweder versuchen, sie zu bekämpfen (das System zu kontrollieren und zu erhalten) oder sie akzeptieren (Spiritualität und das individuelle System entsprechend ändern).

In Familien und Gruppen muss die Systemänderung auf Gruppenebene durch Diskussionen und Entscheidungsfindung erfolgen. Alle Mitglieder sollten einverstanden sein, neue Rollen zu schaffen und Prioritäten und Beziehungen innerhalb des Systems zu ändern und dieses zu akzeptieren. Krisen treten auch auf, wenn dieser Prozess fehlschlägt. Eine Krise selbst ist keine Systemänderung, die Anpassung an die Krise ist erst die Systemänderung.